Bestandrechtliche Aspekte (Miete und Pacht)
Erster und zweiter Lockdown in Österreich: Auswirkungen auf Bestandverträge
Im ersten sogenannten „Lockdown“ wurden mit Verordnung die Kundenbereiche bestimmter Betriebsstätten mit Wirkung 16. März 2020 geschlossen bis teilweise 1. Mai 2020 geschlossen. Nunmehr kam es zum zweiten Lockdown, in dem ebenfalls mit Verordnung Kundenbereiche von 17. November bis 3. Dezember 2020 geschlossen wurden. Im zweiten Lockdown gelten diese Schließungen etwas eingeschränkter – Dienstleistungen, die nicht „körpernahe“ sind, dürfen weiterhin in der Betriebsstätte erbracht werden (Näheres unter „COVID-19-Maßnahmengesetz“).
Für Geschäftsraummieter stellt sich daher die Frage, ob sie in dieser Zeit der Schließung, weiterhin (vollständigen) Mietzins entrichten müssen. Für derartige Fälle wie COVID-19 und den damit verbundenen Betretungsverboten von Kundenbereichen gibt es bereits im ABGB Regelungen zu Mietzinsentfall und -reduktionen. Im Einzelfall muss abgewogen werden, ob und in welchem Ausmaß der Mietzins – im Falle einer (teilweisen) Unbrauchbarkeit – für die Zeit der Schließung gemindert werden kann. Jedenfalls brauchbar sind wohl Objekte, die nicht von den Schließungen betroffen sind (zB Büros). Medienberichten zufolge gab es bereits eine erstinstanzliche Entscheidung zur Thematik; das Gericht gab diesfalls dem Mieter (einem Friseur) Recht – er konnte seine Betriebsstätte überhaupt nicht nutzen, weswegen die Mietzinsminderung zulässig war.
a) Zahlung des Bestandzinses während der Schließung von Betriebsstätten
Wir vertreten dazu grundsätzlich die Ansicht, dass die §§ 1104 f ABGB (aufgrund derer bei außerordentlichen Zufällen, das betrifft auch ausdrücklich den Tatbestand der Seuche, der Bestandzins gemindert werden kann) bedingen, dass Mieter von Geschäftsräumen, die aufgrund einer solchen Schließung ihrer Betriebsstätte diesen Geschäftsraum nicht mehr benutzen oder gebrauchen können, keinen Mietzins zu entrichten haben. Die zwei notwendigen Tatbestandselemente der §§ 1104 f ABGB sind im Fall von COVID-19 (i) die Seuche und (ii) die Unbrauchbarkeit. Seitens vieler Mieter wird Punkt (ii) oftmals vernachlässigt und argumentieren diese, dass das Bestehen einer Seuche (dh COVID-19 existiert) bereits zu einer Mietzinsminderung führen könne, da sie ihre Objekte aus Angst vor einer Infektion nicht nutzen können.
Allerdings ist die Rechtslage nicht eindeutig, weil die Praxis zeigt, dass im Einzelfall sehr wohl vieles unklar ist: (i) wann liegt Miete/Pacht vor, (ii) wann darf der Zins auf Null gemindert werden, (iii) wie können die Folgen von den §§ 1104 f ABGB vertraglich ausgeschlossen werden.
In welchen Fällen Miete/Pacht vorliegt, muss im Einzelfall geklärt werden, dazu müssen eine Vielzahl von Kriterien geprüft und bewertet werden. Die Bezeichnung des Vertrages ist irrelevant.
Betreffend die Höhe der Mietzinsminderung muss differenziert werden:
wenn Miete vorliegt gilt, dass nur bei vollständiger Unbrauchbarkeit des Mietgegenstands eine Mietzinsminderung auf Null möglich ist. Kann der Geschäftsraum noch anderweitig (und nicht zweckentfremdet) verwendet werden, darf der Mietzins bloß entsprechend gemindert werden. Diese anderweitige Nutzung wird aber wohl bspw bei Lagern oä von Verkaufsstellen schwierig zu argumentieren sein, da diesfalls das Lager mit der (nicht verkaufbaren) Ware für den Mieter wohl keinen Nutzen darstellen.
- Komplett anders verhält sich dies bei einer Pacht; hier ist (abgesehen von vertraglichen Vereinbarungen) zu differenzieren wie folgt:
- bei vollkommener Unbrauchbarkeit ist kein Pachtzins zu zahlen (wie bei Miete);
- bei Teilbrauchbarkeit gibt es in § 1105 ABGB eine gesetzliche Regelung, wonach eine Zinsminderung nur in Ausnahmefällen möglich ist. Diese sind (a) wenn der Pachtgegenstand für höchstens ein Jahr gepachtet worden ist UND (b) die Erträge aufgrund der Beeinträchtigung um mehr als die Hälfte gefallen sind; sonst ist (außer wenn komplette Unbrauchbarkeit vorliegt, siehe Punkt (i)) keine Minderung des Pachtzinses möglich.
- 2. Die §§ 1104 f ABGB können vertraglich ausgeschlossen werden, sind also dispositiv. Eine Vertragsprüfung im Einzelfall ist daher unerlässlich.
In der Praxis muss bei Geschäftsraummieten bedacht werden:
Ob der Mietzins (wenn der Mieter von einem grundsätzlichen Recht auf Reduktion des Mietzinses ausgeht) unter Vorbehalt gezahlt wird oder gar nicht gezahlt wird und wie der für März und April bzw November 2020 (häufig) bereits bezahlte Zins aliquot zurückgezahlt wird, ist einzelfallbezogen zu entscheiden. Dazu muss ua bedacht werden, ob eine (Bank)Garantie vorliegt und, ob und unter welchen Umständen diese vom Vermieter gezogen werden kann. Bei Wohnungsmieten hat der Gesetzgeber bspw angeordnet, dass Kautionen nicht zur Abdeckung der Mietzinsrückstände herangezogen werden dürfen. Eine entsprechende Regelung wäre wohl auch bei Geschäftsraummieten sinnvoll; wirft man einen Blick auf die Erläuterungen, scheint, dass der Gesetzgeber die Situation nach den §§ 1104 f ABGB als ausreichend geregelt sieht und vielschichtige Praxisprobleme wohl nicht erkannt hat. Dabei geht es darum wie die Klägerrolle zu haben (was ua zur Folge hat, dass die Gerichtsgebühr vorfinanziert werden muss) vermieden werden kann. Weiters muss genau überlegt werden wie einer Kündigung durch den Vermieter ausgewichen werden kann, da eine solche ja meist nicht im Sinne des Mieters ist; dazu empfehlen wir den nicht bezahlten Mietzins als Rücklage vorrätig zu halten, um ggf liquiditätsmäßig reagieren zu können. Vollkommen unklar ist weiters (noch) wie Vermieter mit der Situation umgehen sollen, keine Zinszahlungen zu erhalten, aber zB Kreditraten bedienen zu müssen.
Keine Kündigung des Wohnmietverhältnisses bei COVID-19 Folgen
Wohnungsmieten: Mietverträge von durch COVID-19 betroffenen Mietern dürfen aufgrund von Zahlungsrückständen zwischen 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 seitens der Vermieter nicht gekündigt werden. Weiters können Räumungsexekutionen bis 31. Dezember 2020 auf Antrag aufgeschoben werden.
Bei den bestandrechtlichen Auswirkungen von COVID-19 ist zunächst zwischen Wohnungsmieten und Geschäftsraummieten/-pacht zu unterscheiden. Bei der Wohnungsmiete wird vom Gesetzgeber rein auf die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mieters abgestellt, da Wohnungen (natürlich) weiterhin benutzbar sind. Mit dem 2. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (2. COVID-19-JuBG, BGBl I 2020/24 idF BGBl I 2020/113), das mehrmals novelliert wurde, wurde der § 1 leg cit eingeführt, durch welchen der Vermieter einen nichtzahlenden, von COVID-19 betroffenen Mieter vorerst grundsätzlich nicht „rauskündigen“ kann.
Keine Kündigung oder Aufhebung des Mietvertrags wegen Zahlungsrückständen
Sind Mietzinszahlungen zwischen 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 fällig, die vom Mieter nicht oder nicht vollständig bezahlt werden, und handelt es sich beim Mietgegenstand um eine Wohnung, kann der Vermieter den Mietvertrag nicht ausschließlich aufgrund dieser Zahlungsrückstände kündigen. Denkbar sind andere, davon unabhängige Kündigungsgründe und Kündigungen aufgrund anderer Zahlungsrückstände, die außerhalb des besagten Zeitraums liegen. Weiters gilt der § 1 2. COVID-19-JuBG nur, wenn der Mieter auch als Folge der COVID-19-Pandemie in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist. Zudem kann der Vermieter den Vertrag auch nicht gem § 1118 ABGB aufheben lassen. Diese Bestimmungen treten gem § 17 Abs 2 2. COVID-19-JuBG mit Ablauf des 30. Juni 2022 außer Kraft. Das bedeutet, dass die während 1. April 2020 und 30. Juni 2020 entstandenen Zahlungsrückstände bis zum Außerkrafttreten vom Mieter vollständig bezahlt werden müssen, ansonsten kann der Vermieter ab 1. Juli 2022 eine Kündigung des Mietvertrags aussprechen oder eine Klage auf Vertragsaufhebung wegen dieses Rückstands einbringen. Das in § 33 Abs 2 und 3 Mietrechtsgesetz (MRG) normierte Recht des sämigen Mieters ohne grobes Verschulden, eine Kündigung oder Vertragsauflösung noch durch Zahlung zu verhindern bleibt durch die COVID-19-Maßnahmen unberührt.
Keine gerichtliche Einforderung der Zahlungsrückstände durch den Vermieter
Bis 31. Dezember 2020 darf überdies der Zahlungsrückstand nicht gerichtlich eingefordert oder von einer Kaution gedeckt werden. Für die Zahlungsrückstände kommt ungeachtet abweichender vertraglicher Regelungen gem § 3 2. COVID-19-JuBG ein maximaler Zinssatz von 4 % gem § 1000 Abs 1 ABGB zur Anwendung. Außergerichtliche Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen sind vom Mieter nicht zu ersetzen.
Anwendungsbereich der neuen Regelungen
Unabhängig davon gelten diese neuen Bestimmungen sowohl im Voll-, im Teil- und im Nichtanwendungsbereich des MRG, sofern es sich um eine Wohnmiete handelt (also keine Geschäftsraummiete oder Pacht). Die Regelungen sind zwingend.
Kurzfristige Verlängerung befristeter Wohnmietverträge
Nach § 5 2. COVID-19-JuBG gilt für befristete Wohnmietverträge, die dem MRG unterliegen (wenigstens im Teilanwendungsbereich), die nach dem 30. März 2020 und vor dem 1. Juli 2020 ablaufen, dass diese schriftlich bis 31. Dezember 2020 oder für einen kürzeren Zeitraum verlängert werden können.
Aufschub von Räumungsexekutionen
Auch Räumungsexekutionen sind gem § 6 2. COVID-19-JuBG auf Antrag des Verpflichteten ohne Auferlegung einer Sicherheitsleistung aufzuschieben, wenn die Wohnung zur Befriedigung seines bzw des der mit ihm im gleichen Haushalt lebenden Personen dringenden Wohnbedürfnisses unentbehrlich ist. Das gilt nicht, falls die Räumung zur Abwendung schwerer persönlicher oder wirtschaftlicher Nachteile des Gläubigers unerlässlich ist; in den Erläuterungen wird auch die Voraussetzung des dringenden Benötigens genannt (dies ist wohl unter unerlässlich zu verstehen). Spätestens sechs Monate nach Bewilligung ist das Verfahren auf Antrag des Gläubigers fortzusetzen, oder früher, wenn die zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (betreffend die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der zwischenmenschlichen Kontakte) getroffenen Maßnahmen aufgehoben wurden.